Endlich Verantwortung für die Aufklärung im NSU-Komplex übernehmen

Zur Presseinformation von Innenminister Lorenz Caffier „Mehmet Turgut war 1998 noch kein Opfer von Nazi-Attacken“, in der er dem innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Peter Ritter, u.a. Populismus unterstellt und indirekt der Lüge bezichtigt, erklären Peter Ritter sowie die Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner und Petra Pau: 

Ritter: „Diese Darstellung muss ich auf Schärfste zurückweisen. Caffier unterstellt der Bundestagsabgeordneten Martina Renner Äußerungen, die in dieser Form nie getätigt wurden. So wurde zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass das spätere NSU-Mordopfer Mehmet Turgut bereits 1998 Ziel von Attacken in Rostock geworden war. Vielmehr wurde korrekt benannt, dass es sich um einen körperlichen Angriff auf den Imbissbesitzer und späteren Arbeitgeber von Mehmet Turgut sowie um einen mutmaßlichen Brandanschlag auf dessen Kiosk im Juni und Juli 1998 gehandelt hat.

Das Innenministerium beweist wieder einmal ‚Mut zur Lücke‘. Wie aus dem Plädoyer eines Nebenklagevertreters im Münchener NSU-Prozess hervorgeht, wurde der körperliche Angriff auf den Imbissbesitzer offenbar von rassistischen Aussagen begleitet. Dieses durchaus relevante Detail verschweigt der Innenminister. Auch die Brandursache am Imbiss wurde offenbar nicht ausreichend untersucht. Immerhin vermutete ein Mitarbeiter der Feuerwehr, dass es sich um Brandstiftung gehandelt haben könnte. Daraus hätten sich möglicherweise konkrete Hinweise auf ein rassistisches Tatmotiv bei den Ermittlungen zum Mord an Mehmet Turgut ergeben können.

Skandalös ist und bleibt die Tatsache, dass der Generalbundesanwalt die Akten zu dem Brand und dem Angriff weder in den laufenden NSU-Prozess eingebracht hat noch die Untersuchungsausschüsse des Bundestages hierüber informiert wurden.

Der Innenminister von M-V hat offenbar ein gesteigertes Interesse, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in seinem Land zu verhindern. Anders ist seine unsachliche Reaktion nicht zu erklären. Höchst bedenklich wird es allerdings, wenn die Landesregierung die Instrumente des Parlaments – wie den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss – als nutzlose Werkzeuge darstellt.

Interessanterweise bezieht sich der Innenminister auf Akten, die derzeit beim Generalbundesanwalt liegen. Ganz anders ist die Praxis, wenn der NSU-Unterausschuss Fragen an das Innenministerium formuliert. Hier müssen sich die Abgeordneten mit der pauschalen Antwort zufrieden geben, dass die Landesregierung von einer Beantwortung absehen müsse, da entsprechende Akten nicht mehr der Hoheit der Landesbehörden unterliegen. Wenn es dem eigenen Interesse dient, gilt dieser Grundsatz offenbar nicht.“

Renner/Pau: „Mit seiner gestrigen Erklärung hat der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern deutlich gemacht, dass er nur ein Ziel verfolgt:

Die Aufklärung zentraler offener Fragen im NSU-Komplex zu blockieren, die nur durch die Behörden in M-V beantwortet werden können.

Dies betrifft neben der Frage nach den Vorkenntnissen des NSU-Netzwerks über den späteren Tatort in Rostock beispielsweise folgende Komplexe:

Was wusste der Verfassungsschutz M-V durch seinen V-Mann in der Redaktion des ‚Weißen Wolfs‘ über die Verbindungen zwischen David Petereit und dem Netzwerk des NSU? Bislang ist lediglich bekannt, dass der V-Mann kurz nach Eingang des so genannten ‚NSU-Spendenbriefs‘ mit einer Spende von 2500 Euro dem Landesverfassungsschutz M-V im April 2002 von dieser sehr ungewöhnlich hohen Geldzuwendung berichtete und die folgende Ausgabe des ‚Weißen Wolfs‘ 1/2002 mit einem ‚Dank an den NSU – Es hat Früchte getragen‘ erschien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Existenz des ‚Nationalsozialistischen Untergrunds‘ beim Landesverfassungsschutz und dem ebenfalls informierten Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt. Die Frage, welche Maßnahmen die Verfassungsschutzbehörden daraufhin einleiteten, gehört zu den offenen Kernfragen des NSU-Komplexes.

Gleiches gilt für die Fragen: Was wussten die Verfassungsschutzämter über die persönlichen Kontakte zwischen dem verstorbenen NPD-Anwalt Günther Eisenecker und den engsten Unterstützern des zu diesem Zeitpunkt in der Illegalität lebenden NSU-Kerntrios? Was wussten sie über ein von Beate Zschäpe behauptetes persönliches Treffen mit Rechtsanwalt Eisenecker? Welche Informationen lagen den Verfassungsschutzbehörden über die seit den frühen 1990er Jahren bestehenden Kontakte des NSU-Kerntrios und deren engste Unterstützerinnen und Unterstützer zu Neonazis in Rostock und beim neonazistischen Kameradschaftsbund Anklam (KBA) vor? Warum wurden diese Informationen nach dem Mord an Mehmet Turgut sowie den Banküberfällen in Stralsund nicht den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt?

Lorenz Caffier und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern sind aufgefordert, endlich Verantwortung für die Aufklärung im NSU-Komplex zu übernehmen und ihre Blockadehaltung zu beenden.“